Wer widerstandlos bleibt, wird überrollt
Ist Nein-sagen erlaubt? Foto: Kristijan Puljek, Pixabay
Nein-sagen hat einen eher negativen Beiklang. Doch wenn wir nicht üben, Nein zu sagen, werden wir weder das Leben, das wir uns wünschen, auch nur ansatzweise verwirklichen können. Noch werden wir negative Entwicklungen in der Gemeinschaft aufhalten. Wir müssen uns aktiv positionieren. Im Privaten, im Beruf und in der Gesellschaft.
Wann darf ich ablehnen?
Ist es eigentlich erlaubt, eine Aufgabe, die einem überhaupt nicht liegt, abzulehnen? Ich gehöre zu den Menschen, die dazu erzogen worden sind, Bitten zu erfüllen, die an sie herangetragen werden? Oft ist es nicht vermeidbar, Dinge zu erledigen, die uns schwerfallen. Sie müssen einfach getan werden. Doch es ist absolut legitim, seine Talente leben zu wollen, weil das auch anderen weiterhilft. Denn das, wofür ich begabt bin, kann ich gut. Dieser Weg führt zu glücklichen Momenten jeden Tag. Für mich und die Nutznießer meiner Arbeit.
Gibt es aber zu vieles, das ich nur „erledige“, obwohl es auch von anderen hin und wieder übernommen werden könnte, dann darf und soll ich mich beschützen, indem ich sage: „Diesmal nicht!“ Mir hilft es, wenn ich darum bitte, auch mal „schwänzen“ zu dürfen. Zum Beispiel vom Staubsaugen. Davon kriege ich Schmerzen.
Andere, viel schlimmere Schmerzen kriege ich, wenn ich auf Facebook zum Beispiel einen Cartoon sehe, in dem vorgegaukelt wird, es sei egal, was wir wählen, weil sowieso jede Kuh, welchen Pfad sie auch nimmt, im selben Transporter landet. Sind wir Kühe? Auf dem Weg zum Schlachter? Ich denke, es soll denen in die Hände spielen, die Parteien und Wahlen abschaffen wollen. Wenn wir nicht wählen gehen und sich nicht jede und jeder vorher überlegt, wofür er oder sie stehen will und wofür definitiv nicht, dann werden wir diese grandiose Freiheit, über unser Land zu bestimmen, verlieren. Wollen wir das?
Seien wir mal ehrlich: Wir spüren, wo wir am besten nicht mitmachen sollten. Die innere Stimme sagt es. Man könnte es auch Gewissen nennen. Wenn zum Beispiel Negatives über jemanden erzählt wird, der sich nicht verteidigen kann, dann fühlen wir uns unwohl. Dagegen können wir laut werden. Noch viel mehr, wenn ein Mensch direkt bedroht wird.
Wem Grenzen zeigen?
Im Buch „Siehst du die Grenzen nicht …“ erzählt Mariechen, die 1937 fast blind auf die Welt kam, wie es Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung im Dritten Reich erging. Gegen Entwicklungen, die Schwache und nicht der Norm Entsprechende ausgrenzen, stelle ich mich. Deshalb erzähle ich diese Geschichten weiter. Sagen wir Nein zu jedem, der die Menschenwürde geringachtet!
Das Nein-sagen fängt klein an. Bei mir selbst. Nicht nur in der Fastenzeit sage ich öfter Nein zu Verhaltensweisen, die ich ablegen will. Zum Beispiel, wenn ich wieder einmal versuche, es allen recht zu machen. Das ist nicht zu schaffen. Ich muss meinem inneren Kompass folgen, sonst werde ich erst unzufrieden und früher oder später auch krank. Entscheidungen, auch unliebsame, wollen getroffen werden, damit es vorwärts geht. Da Familie und Arbeit für mich an erster Stelle stehen, kann ich mich nur gelegentlich mit Freundinnen treffen. Wenn es soweit ist, genieße ich es, doch vorher sage ich auch einmal „Nein, momentan kann ich leider nicht.“
Seine Arbeit gut zu machen ist das Eine. Sie perfekt machen zu wollen etwas ganz anderes. Auch zu Perfektionismus sage ich inzwischen Nein. Er führt dazu, dass man nichts fertigbekommt und viel zu viel Zeit mit einer Aufgabe verbringt, anstatt sie abzuschließen. Ein hohes Niveau zu erreichen, ist trotzdem möglich. In den sieben Wochen vor Ostern statt auf Süßes oder Alkohol auf eine unangenehme Gewohnheit zu verzichten, habe ich ausprobiert und als gut empfunden. Warum nicht einmal versuchen, keine Kritik an anderen zu üben, sondern stattdessen sich selbst und das eigene Verhalten unter die Lupe zu nehmen?
Wofür es sich lohnt, nein zu sagen
„Schaufeln Sie Zeit frei, es lohnt sich!“, riet eine Bekannte, als sie hörte, dass ich Oma werde. Mit Kindern zusammenzusein versetzt uns vollkommen ins Jetzt. Das tut nicht nur dem Kind gut. Eine zauberhafte Beziehung entsteht, die Aufmerksamkeit braucht, die ich gern gebe.
Es ist erlaubt, Aktivitäten nachzugehen, die einen beleben. Keiner muss immer nur leisten. Schwimmen gehen ist für mich eine Auszeit sein, die mich erneuert. Laufen, Radfahren, Tanzen – für all das bekommen wir nur Zeit, wenn wir zu etwas anderem Nein sagen. Ein Tag in der Natur gibt Energie. Es ist klar, dass es auch Menschen gibt, die das bei einer Shopping-Tour empfinden. Letzten Endes geht es darum, dass wir Zeit freischaufeln für das, was uns wichtig ist und uns nicht „kapern“ lassen für die Ziele anderer, mit denen uns nichts verbindet.
Wie Nein sagen?
„When they go low, we go high”, sagte Michèle Obama 2016 im US-amerikanischen Wahlkampf. Sie und Barack waren darin einig, sich nicht auf das Niveau von Anhängern ihrer Herausforderer zu herunter zu begeben, sondern erst recht einen respektvollen Stil zu pflegen. Das „Wie“ ist nicht egal. Passen wir uns nicht an wütende, hasserfüllte Menschen an und begegnen wir ihnen nicht auf derselben Ebene!
Diese Haltung vertreten viele, habe ich auf Demos für Demokratie in den letzten Wochen festgestellt. Es macht Mut, nicht allein zu sein. Nein-sagen zu extremen Meinungen, Entwicklungen und Parteien, ist der einzige Weg, wenn wir nicht in einer Diktatur aufwachen wollen. Viele gehen dafür auf die Straße, suchen Gespräche, hören Meinungen an, auch wenn sie anstrengend sind. Ich bin dabei. Das geht uns alle an.
Freundlich und bestimmt Nein zu sagen ist nicht nur erlaubt, sondern dringend erforderlich. Menschen akzeptieren es eher, einen Korb zu bekommen, wenn jemand ganz hinter seiner Entscheidung steht und sich nicht wortreich rechtfertigt. Jeder muss selbst verantworten wie er oder sie lebt. Das kann uns keiner abnehmen. Und wir dürfen auf uns achtgeben, weil wir nur so für andere da sein können. Ein Lied, das neulich im Radio lief, hat schon einige Jahre auf dem Buckel, ist aber wieder aktuell: CODO – Und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt und bring die Liebe mit von meinem Himmelsritt … – DÖF – Neue Deutsche Welle.
Nein
Hassen wir nicht!
Nichts und niemanden!
Weil wir nie in der Haut
Des anderen gesteckt haben
Der das was er einem antut
Vielleicht selbst erfahren hat
Doch lassen wir nicht durchgehen
Wenn einer vorgibt es wäre egal
Ob man sich engagiert
Oder resigniert
Ob man wählt
Oder daheimbleibt
Ob man sich Fragenden stellt
Oder schweigt
Weil einer allein sowieso
Nichts bewirkt
Unterstützen wir aktiv
die Demokratie
in unserem freien Land
Entlarven wir
Feinde der Liebe
Lieben wir als gäbe es
Kein Gestern kein Morgen
Nur Jetzt
Du bist nicht allein
Du kannst etwas bewirken
Wir gehen gemeinsam
(Jutta Hajek)