Überraschungen sind vorprogrammiert
Bist du bereit zum Aufbruch?
Es ist ein Wagnis, aufzubrechen und Gewohntes hinter sich zu lassen. Was wir daheim haben, wissen wir. Was uns woanders erwartet, nicht. Also lieber das Risiko vermeiden oder losziehen, um sich Neuem auszusetzen? „Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen …“, schreibt Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“. Wenn wir das ernst nehmen, werden wir Überraschungen erleben – positive und negative. Aber es lohnt sich, denn wir wachsen.
Das Wetter draußen
Heute Nachmittag bin ich losgegangen mitten im Graupelschauer. Natürlich hatte ich einen Schirm dabei. Wetterfest gekleidet war ich auch. Der Wind hat mich ordentlich durchgepustet. Ein paar Kilometer weiter konnte ich den Schirm zuklappen und mein Gesicht der Sonne entgegenhalten. Riesige Haufenwolken zogen über mir: eine Kulisse wie im Film. Ich fing an zu singen. Hätte ich hinausgeschaut, bevor ich losging, wäre ich wahrscheinlich gar nicht erst losgelaufen. Das wäre sehr schade gewesen. Ich konnte den Birkenblättern beim Sprießen zusehen und fühlte mich danach frisch und bereit weiterzuarbeiten.
Das innere Wetter
Für unsere Vorhaben, wie klein oder groß sie auch sein mögen, ist das innere Wetter viel wichtiger als das äußere. Hast du das auch schon festgestellt? Von außen stürmt immer viel herein, das uns bekümmern und ablenken kann. Ignorieren kann das keiner. Aber in die Schranken weisen schon. Sobald ich mein inneres Wetter nicht von dem, was außen passiert, abhängig mache, bin ich stabiler unterwegs und kann mehr geben. Dazu muss ich den Input von außen reduzieren. Das geht nicht immer. Das habe ich auf der Leipziger Buchmesse gemerkt, die ich diesen März zum ersten Mal besuchte.
Gleich am Donnerstag strömten Menschenmassen aufs Messegelände. Ich war schockiert, wie viele es waren. Zwar hatte ich einen Plan, wen ich treffen, was anhören und welche Verlage ich besuchen wollte, doch das Durcheinander von Schulklassen, Manga-Convention-Besuchern und Besucherinnen in bunten Kostümen und der Lärm der Interviews aus allen Ecken hat mich beeindruckt. Fast hätte ich vergessen, wo ich hinwollte.
Erwartungen erfüllen sich
Doch dann fand ich durch eine bewusste Entscheidung und indem ich auf meine Intuition hörte den roten Faden wieder. Wenn wir erwarten, dass es gut wird, wird es auch gut – meistens. Ich beschloss, dieser Leipzig-Reise, die aufwändig in der Vorbereitung war, das meiste abzugewinnen. Also hielt ich mich an meinen Plan, ging zwischendrin nach draußen, um Luft zu schnappen und – du ahnst es – zu essen. Das Angebot war erfreulich. Ich probierte asiatische Nudeln, Matjesbrötchen, vegetarisches Chili, Crèpes mit Zimt, und vieles mehr.
Am letzten Tag lauschte ich einem Interview mit der Brüsseler Autorin Lize Spit. Sie schrieb ihren aktuellen Roman Der ehrliche Finder in nur 6 Monaten, weil er für eine besondere Aktion im Januar in Auftrag gegeben wurde und im Juli fertig sein musste. Spontan hatte ich die Idee, das Buch einer guten Freundin zu schenken – natürlich signiert. Der einzige Haken: Ich hatte kein Exemplar. Am Ende der Veranstaltung standen viele auf und gingen mit einem Buch in der Hand auf die Autorin zu. Ich stand auch auf. Auf meine Frage, woher ich das Buch bekommen könne, antwortete die Moderatorin, ich könne mir in der Messebuchhandlung eines holen. Die war zu weit weg und überfüllt.
„Das geht nicht, dann ist sie weg“, rief ich verzweifelt. Ein junger Verlagsmitarbeiter, der neben mir stand, griff in seinen blauen Stoffbeutel, auf dem das Motto „Alles außer flach“ aufgedruckt war, und zog ein Exemplar von Lize Spits Roman heraus. Mir wären fast die Augen aus dem Kopf gefallen. „Ich schenke es Ihnen!“, fügte er hinzu. Ich bot ihm Bezahlung oder ein Buch als Gegengeschenk an, doch er wies alles zurück. Selig stand ich wenig später vor Lize Spit und hielt ihr das offene Buch zum Signieren hin.
Sich lähmender Gewöhnung entraffen
Wäre ich daheimgeblieben, wie die vielen Jahre zuvor – die Frankfurter Buchmesse im Oktober ist so praktisch nah – hätte ich diesen und viele andere inspirierende Momente verpasst. Ich bin froh, dass ich gefahren bin. Alles hat seine Zeit und die Zeit war reif. Manches Mal müssen wir Vorhaben verschieben. Oder der Tatsache ins Auge sehen, dass wir es nicht können, weil wir krank oder zu alt dafür sind. Innerlich aufzubrechen geht immer: hoffnungsfrohe Gedanken pflegen. Und wenn wir aufbrechen, wird uns – wie Hermann Hesse in seinem Gedicht Stufen schreibt – der Weltgeist heben und weiten. Mag sein, sogar die Todesstunde wird uns neuen Räumen jung entgegensenden. So unerhört es klingt: Genau das glaube ich, weil Jesus uns auf diesem Weg vorausgegangen ist.