Innere Vorbereitung

Lass Dich vom Ziel ziehen

Wer gerne wandert, weiß, wie schön Ankommen ist. Oben zu stehen und hinunterzublicken – ein erhebendes Gefühl. Doch um den Gipfel zu erreichen, müssen wir uns vorbereiten. Wer das ignoriert, kann auf halber Strecke zum Aufgeben gezwungen sein. Was trägt dazu bei, dass der Weg gelingt?

Vorbereitung

Steil war der Anstieg, doch wir haben es geschafft. Wir sitzen unterm Gipfelkreuz, blicken hinab über die Hänge, riechen das Heu und die Wiesenblumen, hören die Kuhglocken im Tal, nehmen einen großen Schluck Wasser, wischen uns den Schweiß aus dem Gesicht und strahlen. Unbeschreiblich, wie gut sich das anfühlt. Wir haben vorher zu Hause alles eingepackt, was dafür nötig war und in kleineren Wanderungen für den großen Aufstieg trainiert. Ohne Vorbereitung wäre die Tour nicht gelungen. Ich lasse mich vom Ziel ziehen.  Die Vorstellung, ein lohnendes Vorhaben zu einem guten Ende zu führen, spornt mich an.

Eine Hand hält einen Kompass
Ein Kompass richtet sich immer nach Norden aus

Der Weg nach Betlehem

Unsere Erde besitzt ein Magnetfeld. Es wird durch den äußeren Erdkern erzeugt, der mehrere Tausend Grad heiß ist. Eine Kompassnadel ist ebenfalls magnetisch und richtet sich nach Norden aus. Wir Menschen haben auch Magnetfelder. Messbare, die durch elektrische Ströme entstehen, aber auch solche, die man nicht messen kann.

Mit unseren Gefühlen, Sehnsüchten und Wünschen senden wir Schwingungen aus, die Wirkung zeigen. Worauf wir uns ausrichten, bestimmt unser Leben im Advent und den Rest des Jahres auch. Das ist unser Ziel, das uns zieht.

Mit dem Kompass in der Hand machen wir uns auf den Weg nach Bethlehem. Denn – so glauben wir Christen – Jesus ist dort für alle Menschen geboren. Er erhellt das Dunkel der Welt und will uns nahe sein und uns stärken. Das ist nicht nur vor mehr als 2000 Jahren geschehen, das geschieht heute hier, sofern wir es zulassen. Indem ich mich mit diesem Geheimnis beschäftige, richte ich meinen Kompass aus. Es ist lohnend, sich auf die Liebe hin auszurichten.

Leicht gesagt, aber schwer umzusetzen in diesen Zeiten der Angst vor Ansteckung, Krankheit, Tod. Zeiten der Einsamkeit. In der Dunkelheit des Dezembers. Trotzdem. Lassen wir nicht zu, dass die Pandemie einen Keil zwischen uns und unsere Freunde treibt, weil die Ansichten über das richtige Verhalten auseinanderklaffen. Sprechen wir offen miteinander über Beweggründe. Das macht verletzlich, aber nur so kann es gelingen, dass der Gesprächsfaden nicht abreißt. Auch hier können wir uns vom Ziel ziehen lassen. Wenn unsere Ziele Liebe und Gemeinschaft sind, müssen wir Respekt vor der Entscheidung des anderen haben, wie sie auch ausfällt. Gleichzeitig kann und muss ich nach meinem Gewissen und meinen Kräften alles tun, um mich und andere zu schützen.

Vorbilder

Immer wieder hat es Menschen gegeben, die sich durch Beten, Fasten und Lesen der Heiligen Schrift besonders auf das göttliche Geheimnis konzentriert haben. Jutta von Sponheim und Hildegard von Bingen faszinieren mich. Beide lebten im 12. Jahrhundert als Benediktinerinnen auf dem Disibodenberg bei Bad Kreuznach. Kürzlich war ich wieder dort. Mehr dazu gibt es hier.
Gebet und Arbeit waren bei den Benediktinerinnen angesagt. Daneben verfasste Hildegard bedeutende theologische, wissenschaftliche und medizinische Werke. Zehn Jahre hat die Visionärin an ihrem Erstlingswerk SCIVIAS – „Wisse die Wege“ – geschrieben. Das zeigt, wie ausdauernd ein Mensch sein kann, wenn ihm etwas wirklich wichtig ist.

Krippe im Moos
Eine Krippe zu gestalten, bringt Vorfreude

Vorfreude auf das Fest der Liebe

Wenn wir auf Weihnachten zugehen, müssen wir entscheiden, was uns wichtig ist. Klar, die praktischen Dinge wollen getan werden. Doch ob ich ihnen Priorität einräume und versuche, sie bis ins letzte Detail auszugestalten oder mehr Zeit darauf verwende, still zu werden und – wie Hildegard – die leise Stimme in meinem Inneren zu hören, macht einen großen Unterschied. Einmal am Tag kurz innezuhalten, ein Gebet zu sprechen, kann eine Veränderung bewirken. Indem ich mich meinen Mitmenschen zuwende, ihnen zuhöre, sie unterstütze, schenke ich Zeit und Liebe. So richte ich meinen Kompass auf das aus, was für mich zählt.

Wenn etwas Wichtiges bevorsteht, wende ich einen Trick an: Ich male mir aus, wir wären schon am Ziel: Das Glöckchen klingelt, die Türe öffnet sich – erst nur einen Spalt und dann weit, am Tannenbaum funkeln rote Kugeln und Kerzen. Unzählige Lichter erleuchten den Raum. Wir treten ein und singen „Stille Nacht, heilige Nacht“. Und dann werden wir still. Wir beten für die Familie und alle Menschen, die es brauchen. Wir sind Gemeinschaft mit der Welt, die die Ankunft der Liebe erwartet.

Ein Familienmitglied liest das Weihnachtsevangelium:
„Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen. Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ (Lukas 2,1-7)*

Das ist er, der heilige Moment. Wir werden beschenkt. Auf einmal wird mir wieder bewusst, auch wenn es noch Wochen bis Weihnachten sind und meine Listen immer länger werden: Kein Grund, sich zu beeilen. Alles wird sich finden. Das ist der Norden für meinen Kompass, das ist das Ziel, das mich zieht. Dem müssen sich unterordnen: Essen, Tisch- und Kleiderordnung, Dekoration, Geschenke Alles.

Bedeutsam an diesem Fest sind die Begegnungen: mit mir selbst und meinem Grund; mit Gott, der die Liebe ist; und mit den Menschen, die mir nah sind. Mehr braucht es nicht.

Mein Weihnachtsgedicht:

Schweige


Mitten auf dem Grund meiner Seele
Ruht eine Perle
Schimmernd makellos schön
Noch nie hab ich sie gesehn
Ich weiß dass sie da ist
Woher weiß ich nicht

Wie ich danach brenne
Sie zu berühren
Sie zu bergen in meiner Hand

Doch trübe ist das Wasser
Turbulenzen des Tages
Haben Schlamm und Steine
Ins Trudeln gebracht
Ich kann ihn nicht finden
Meinen Schatz

Früh am Morgen kehre ich zurück
Setze mich ins taunasse Gras
Schweige ein zwei Stunden
Belausche die Welt beim Erwachen
Tauche ein in den tiefen Grund

Da klärt sich die Sicht
Da zeigt er sich mir
Schimmernd makellos schön
Liegt er vor mir
Mein kostbarer Schatz

* Das Bibelzitat stammt aus der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe © Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart.

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